Dienstag, 30. November 2010

Arbeit, Arbeit

Arbeit, Arbeit.
Naja zumindest ein wenig. Vorletzte Woche bin ich das erste Mal zu einem Projekt meiner Organisation gefahren, um ein Seminar über den Nutzen von Fahrrädern zu halten und um einen workshop über Instandhaltung und Reparation zu machen.

Workshop Bugesera:

Früh Morgens um 6:30 Uhr holte mich mein Chef mit seiner Klapperkiste ab. Wir fuhren 2 Stunden, zunächst über tolle geteerte Straßen, etwas später dann über Staubstraßen und am Ende auf irgendwelchen schlaglochübersähten Feldwegen. Die Landschaft war, wie sooft in Ruanda, grün und weitläufig. Wir kamen an einer riesigen Sumpfebene vorbei, an Bananen-, Tee- und Kaffeeplantagen. Gegen 9 Uhr kamen wir in einem Dorf ohne Strom und fließend Wasser an. Wir besuchten zunächst die Leiter des Projekts und es wurde uns erzählt, dass die Gruppenmitglieder größtenteils noch auf der Beerdigung von der Frau des Districtchefs waren, sodass wir noch 2 Stunden Zeit hatten. Das ärgerte mich anfangs ein wenig, da ich kein Fan des Frühaufstehens bin. Aber eigentlich war es doch ganz interessant in der Zwischenzeit die Schule zu besuchen, sich bei allen Autoritäten und einigen Schulklassen vorzustellen und Fragen über Deutschland zu beantworten. Die Schule ist quasi autark, also versorgt sich selbst mit großen Obst- und Gemüseplantagen, Ziegenställen und einer eigenen Küche. Außerdem konnte ich noch ein anderes Projekt besuchen, das 800 Kindern Essen, Schule und wenn nötig einen Schlafplatz stellt.
Als es dann endlich losging, zwängten wir uns mit 40 Leuten in ein Klassenzimmer und mein Chef erzählte irgendwas über Mikrokredite auf Kinyarwanda. Danach hielt ich meinen Vortrag auf Englisch mit einem Lehrer als Übersetzer, der erstaunlich gut Englisch sprach. Bevor wir nach draußen gingen, um mit dem Workshop zu beginnen, diskutierten wir noch über die Probleme der Leute. Draußen bildete sich dann ein großer Kreis um mich und ein Fahrrad. Der Innenkreis bestand aus Mitgliedern der Gruppe, der äußere Kreis aus etwa 100 Schülern. Jedenfalls habe ich dann gezeigt, wie man einen Platten mithilfe eines Gummistücks von einem alten Reifen und etwas Kleber flickt, wie man das Hinterrad herausbaut und wieder einsetzt (nein kein Schnellspanner, dafür muss man das ganze Fahrrad auseinandernehmen), wie man Bremsblöcke wechselt und wo man die Kette ölt. Lief insgesamt ganz gut, aber bei einem europäischen Rad wäre es deutlich einfacher gewesen.
Das Gleiche wollen wir auch noch bei einem anderen Fahrradprojekt im Norden machen.
Ende Dezember, nachdem ich Steffen in Tansania/Kigoma besucht habe, kaufen wir hier in Kigali 10 Fahrräder in Einzelteilen, fahren Richtung Nordwesten und ich baue die Fahrräder in 2-3 Tagen wieder auf und verteile sie mit meinem Chef.
Sonst schreibe ich, inzwischen selbstständig, Proposals an Deutsche und Amerikanische Organisationen um Geld für Projekte einzutreiben. Darin sieht mein Chef eben den größten Gewinn, den ich für unsere Organisation erreichen kann. Solange es nicht zu meiner einzigen Tätigkeit wird, akkzeptiere ich das. In den nächsten Wochen baue ich außerdem noch eine Website für FAPDR.
Insgesamt ist und bleibt es wohl ein Nebenjob, bei dem ich meine Arbeitszeiten ziemlich frei wählen kann.
Ist aber nicht weiter tragisch, weil das restliche Leben genug bereithält um zwei Leben zu füllen.
Fotos kommen. Versprochen.

Martin

Freitag, 19. November 2010

Dienstreise

Letzten Samstag bin ich in den Süden Ruandas aufgebrochen. Mein Auftrag: Eine Unterkunft für unser Zwischenseminar im Februar zu finden.

Um 8:30 Uhr nahm ich den Bus Richtung Butare, der drittgrößten Stadt Ruandas mit der größten Uni und Kathedrale. Angekommen, traf ich Pastor Augustin mit dem ich im strömenden Regen drei verschiedene Acommodations abklapperte, nach Preisen fragte und einen Blick in die Zimmer werfen konnte. Nachmittags ging ich dann in das National Museum, indem die Geschichte Ruandas skizziert wurde und man interessante Dinge erfuhr (Beispielsweise wie man richtig Bananenbier braut oder wie man traditionell töpfert). Am Abend ging ich in ein Hotel und genoss die erste warme Dusche nach 2 Monaten. Einfach wundervoll! Am nächsten Morgen gab es Frühstück mit einem 3/4 Liter besten Rwandischen Kaffee. Mein nächstes Ziel sollte Kitabi sein, das sich am OSteingang des Nyungwe Nationalpark befindet. Der Park ist ein einziger riesiger Regenwald, der Höhenunterschiede von 2000m aufweist und 13 Affenarten beheimatet. Aber bis ich dieses Naturwunder erleben durfte, stand mir eine mühsame Fahrt bevor.
Schnell wurde klar, dass es nicht genug Fahrgäste gab, um eine wirtschaftliche Busfahrt nach Kitabi zu starten. Und weil ich nicht 5 Stunden warten wollte, beschloss ich den Weg querfeldein zu nehmen. Der erste Minibus brachte mich noch relativ vielversprechend einiges näher zu meinem Ziel, nämlich in die "Stadt" Gikorongoro. Ich stieg dort in einen weiteren leeren Minibus und unterhielt mich mit dem Fahrer so gut es ging auf Kinyarwanda bis der Bus 1 Stunde später überfüllt ins nächste Kaff aufbrach. Ein weiterer Bus und 3km Fußmarsch brachten mich schließlich ans Ziel. Ich besuchte das KCCEM, eine Unterkunft mit atemberaubenden Blick auf die Teeplantagen und den NYungweparc. Der Chef war nicht da und ohne Chef läuft in Afrika eher weniger. Immerhin konnte ich ihn noch am Telefon erwischen. Nachdem ich die gesalzenen Preise für Touren im Park erfahren habe, sollte mein nächstes Ziel Cyangugu sein, eine Stadt im Süden des Kivusees am Dreiländerdreieck Ruanda-Burundi-Kongo. Man sagte mir, ich kann mich an die Straße stellen und einen Bus anhalten. Hätte vielleicht auch funktioniert, falls ein Bus gekommen wäre. Ich traf an der Straße ein paar Leute, die im Nyungwepark arbeiten und auch mitgenommen werden wollten. Als ein großer Mercedes Benz LKW auftauchte, hielt ihn ein Rwandi an, der auch nach Cyangugu wollte. So kletterten wir in die Führerkabine, wo wir die nächsten 4 Stunden verbrachten und uns nett unterhielten. In Cyangugu angekommen zeigte mir mein Mittramper ein tolles, billiges Hotel mit Blick auf den Kivusee. Außerdem gab es an dem Abend noch ein schönes Livekonzert einer afrikanischen Band. Am nächsten Tag traf ich mich mit dem Mittramper und er zeigte mir die Stadt und mögliche Unterkünfte für das Zwischenseminar. Wir gingen zum Fischmarkt und zum Hafen. Es gibt zwar keinen offiziellen Personentransport über den Seeweg zwischen den 3 großen Küstenstädten Cyangugu, Kibuye und Gisenyi aber die Kapitäne nehmen einen für 2000 bzw. 4000 Rwf mit auf ihre rudimentären Transportschiffe mit denen vor allem das rwandische Bier Primus transportiert wird. Ich habe mir vorgenommen einmal so eine Schiffsreise zu machen, um zu gucken ob alle Bierkästen voll ankommen ;) Jedenfalls waren wir dann auf einmal an der Grenze zum Kongo und ich wollte wissen, ob es für mich problemlos und kostenlos ist rüber zu kommen. Auf ruandischer Seite lief die kurze Ausreise sehr offiziell ab. Ich bekam einen Stempel, füllte ein Formular aus und durfte dann über die Brücke. Mich begleitete ein stämmiger Rwandi. Auf der anderen Seite lehnten 3 Soldaten lässig am Brückengeländer. Sie sahen, abgesehen von den AK 47 an die ich mich mittlerweile gewöhnt habe, recht furchteinflößend aus. Der eine sah aus wie der letzte Diktator mit Sonnebrille und grinste als ich auf ihn zukam. Die anderen beiden hatten blutunterlaufene Augen. Naja jedenfalls gab es Diskusionen zwischen den Soldaten und meinem Begleiter. Ich konnte nur einzelne Wörter verstehen. Aber das Wort "Amafaranga" war dann doch ziemlich eindeutig. Es heißt Geld. Das war also meine erste Begegnung mit Korruption, wurde mir doch auf der anderen Seite noch versichert, dass die Ausreise und Einreise kostenlos seien. War weiter nicht schlimm, weil ich ja gar nichts im Kongo verloren hatte. Das machte ich dann auch schnell klar und kehrte zurück. Am gleichen Tag verließ ich Cyangugu und nahm den Bus nach Kigali. Dank der Fahrweise und den Straßenverhältnissen, fuhr der Bus mitten im Nyungwe Park eine Reifen zu schrott. Glücklicherweise gabs Ersatz. 6 STunden später kam ich in Kigali an.

Bilder konnte ich leider nur mit meinem Handy machen, weil die Batterie meiner Kamera leer ist. Lade ich bie Gelegenheit hoch.

Donnerstag, 11. November 2010

Umzug

Ich habe die Zeit in meinem Viertel Nyabugogo genossen, hab mich mit vielen Nachbarn angefreundet und ein System hinter dem Chaos erkannt. Und jetzt ziehe ich nach Kacyiru in eine WG mit zwei anderen Freiwilligen. Warum?
Das hat mehrere Gründe. Erstens möchte eine Freiwillige aus dieser WG ausziehen und sich eine eigene Wohnung suchen. Da wäre es natürlich praktisch, wenn ich in die WG ziehe und ihr meine Möbel überlasse. Einen anderen Nachmieter zu finden wäre wohl auch nicht so einfach, sodass meiner Entsendeorganisation auf jeden FAll höhere Kosten entständen, falls ich in Nyabugogo bliebe. Zweitens nerven mich ein paar Makel meiner Wohnung, wie beispielsweise mein Waschbecken auf Kniehöhe, eine kaputte Steckdose und eine undichte Toilette, die inkompetente Klempner bis jetzt nicht reparieren konnten. Ein anderer Grund ist, dass ich mich mit den beiden Freiwilligen sehr gut verstehe und sowieso fast jeden Abend mit ihnen zusammen koche. Das Haus liegt in einem ruhigeren Viertel und hat einen Garten mit einem Mangobaum. Weil das Haus auch von unseren Vorgängern besetzt war, ist dort schnell Kontakt zu den Einheimischen entstanden. Die unterscheiden sich vor allem dadurch, dass ihr Lebensstandard ein wenig höher ist und dadurch oft auch ihr Bildungsstand. Es können dort viele Menschen Englisch oder Französisch.
Falls mich die Sehnsucht nach einem authentisch.afrikanischen Chaos packt oder ich einfach meine Nachbarn wiedersehen möchte, trennen mich davon nur 15 min Minibusfahrt für 18 cent. Da mein Chef und meine Arbeit in Nyabugogo warten, werde ich sowieso fast jeden Tag dort auftauchen.
Die Erfahrung "alleine" zu wohnen und die Vorteile und Nachteile zu erleben war auf jedenfall bereichernd. Ich hoffe, dass weder mein Kinyarwanda noch meine Kontakte zu den Einheimischen unter dieser Entscheidung leiden. Bis zum 14. Dezember muss ich aus meiner Wohnung raus.

Gruß

Donnerstag, 4. November 2010

Zeitumstellung

Da Ruanda direkt unter dem Äquator hängt, gibt es hier keine Jahreszeiten, sondern nur Trocken- und Regenzeiten. Die Sonne geht jeden Tag genauso früh auf und unter. Aus diesem Grund macht eine Zeitumstellung von Sommer- zu Winterzeit, wie es sie kürzlich in Deutschland gab, keinen Sinn und ich bin den Mitteleuropäern bis Ende März immer eine Stunde voraus.

Fieberträume der Mächtigen Expo Ruanda

Aden, der hyperaktive Nachbarsjunge

katholische Kirche in Gitarama

Kochen wie die Meister (zu oft ohne Fleisch)


Bosco, mein Bauerfreund, vor seinem Haus

hmm, gemahlene Blätter und Wurzelbrot

200 Häuser, um die Wette bauen

Blick aus der WG in Kacyiru auf den Mangobaum

Zwischenroman aus Ruanda

weltwärts-Bericht November 2010

Bericht: November 2010 (1/4)
Standort: Kigali (Ruanda)
Zeitraum: Sep. 2010 – Aug. 2011
Entsendeorganisation: artefact gGmbH
Partnerorganisation: FONDATION ARTISANS DE LA PAIX ET DU DEVELOPMENT AU RWANDA


Kigali, den 01.11.2010


Liebe Freunde, Bekannte und Spender, liebes artefact-team,


nachdem ich jetzt schon 7 Wochen in Kigali, der Hauptstadt Ruandas lebe, möchte ich euch einen ersten Bericht schicken. Es sollte ein Erlebnisbericht werden, der noch nicht allzu viele Wertungen enthält. Ganz verhindern konnte ich das allerdings nicht. Wer meinen Blog verfolgt hat, wird sicher auch ein paar bekannte Passagen wiederfinden. Für mehr Fotos könnt ihr auch gerne meinen Blog besuchen. Ich versuche ihn aktuell zu halten. Hier nochmal die Adresse:


Ankunft

Als ich mit den anderen drei artefact-Freiwilligen am Flughafen in Kigali ankam, erwartete uns eine Gruppe von etwa 10 Leuten aus ehemaligen Freiwilligen, unserem deutschen Chef Frank und Leuten aus unseren Partnerorganisationen. Wir luden unser Gepäck auf die Pick-ups und fuhren das erste mal durch das Zentrum Kigalis. Aufgefallen sind mir zu dem Zeitpunkt vor allem die vielen Rohbauten, die abertausenden Moto-Taxis und Mini-Busse, sowie die Soldaten, die mit ihren großen Waffen am Wegesrand standen. Im Kigali guest house angekommen, das noch 2 Wochen meine Unterkunft darstellen sollte, lernte ich direkt die hiesigen Stromausfälle kennen. Im Schnelldurchlauf wurden wir am nächsten Tag mit den afrikanischen und ruandischen Spezialitäten wie Amandazi, Chapati, Sambusa und dem berühmten Primus-Bier, das in klobigen 72cl Flaschen verkauft wird, vertraut gemacht. Wir machten einen Ausflug über katastrophale Lehm-“straßen“ zu einem schönen See. Abends haben wir ein Livekonzert angehört und afrikanischen Tanzkünste bewundert. Nachdem unser deutscher Chef Frank nach 4 Tagen wieder abgereist ist, haben Hannes und Julia, jetzt ehemalige artefact-Freiwillige, die Ende September nach Deutschland zurückgekehrt sind, die Einführung übernommen und haben uns viele nette Menschen und Plätze gezeigt. Die beiden kommen übrigens nach Ost-Afrika zurück.

Kigali

Kigali liegt auf ca. 1700 Metern Höhe und exakt in der Mitte Ruandas. Die Stadt ist der Legende nach von einem Kolonialherren gegründet worden, der ein Kreuz auf eine Ruanda-karte gezeichnet hat und den Schnittpunkt als Standort für die neue Hauptstadt auserkoren haben soll. Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Stadt noch etwa 5000 Einwohner. Jetzt sind es über 1 Million. Kigali ist wahrscheinlich die hügeligste Hauptstadt der Welt, was zwar sehr schön aussieht, aber auch anstrengend sein kann. 2008 wurde Kigali zur saubersten Stadt Afrikas gekürt. Soviel zu den Daten.

Es ist unglaublich wie nah Armut und Reichtum in dieser Stadt zusammen stehen. Im Zentrum gibt es super moderne Wolkenkratzer, Bonzencafés, Luxushotels und zwei westlich geprägte Supermärkte, in denen man sogar Nutella bekommt. Geht man 15min zu Fuß, landet man sehr schnell in Slum-ähnlichen Siedlungen ohne Wasser und Strom, aber mit stinkenden Abwasserkanälen und Menschen in zerissenen Lumpen. Diese Viertel sollen im Rahmen der Stadtverschönerung bzw. der Vision 2020 für Kigali verschwinden. Dazu wird den Bewohnern Geld angeboten, damit sie wegziehen. Falls sie das nicht wollen, werden sie eben gezwungen.
Der Verkehr ist unübersichtlich, rücksichtslos und es gilt das Recht des Stärkeren. Ich genieße die täglichen Mini-Bus und Moto Fahrten, wo man entweder mit 20 Leuten in einen VW-Bus-großen Wagen gezwängt mit lauter HipHop Musik durch die Stadt fährt oder hinten alleine oder zu zweit auf einem Moto-Taxi den verstopften Verkehr mittels haarsträubender Manöver umgeht. Dass das nicht immer gut ausgeht, musste ich leider auch schon erleben.
Insgesamt ist Kigali eine sehr vielseitige und schöne Stadt mit angenehmen Klima, netten Menschen und einer Menge Dinge zum Erkunden.

Mein Viertel, meine Wohnung

Das Viertel, in dem ich jetzt seit etwa einem Monat lebe, besitzt den klangvollen Namen „Nyabugogo“. Ich würde es als Industrie- oder Arbeiterviertel bezeichnen. Es ist vollgestopft mit Leuten, die oft nur Kinyarwanda sprechen, liegt sehr nahe am Zentrum, ist aber eher ärmlicher und beinhaltet den größten Busbahnhof Ruandas. Außerdem gibt es einen riesigen Kleidermarkt, eine unappetitliche Metzgerei-Straße und einen Gemüse/Früchte-Markt.

Die Wohnungssuche und die darauf folgende Ausstattung gestaltete sich ziemlich schwierig, da ich -frisch angekommen- weder Ahnung von den Preisen noch von der Umgebung hatte. Gut, dass mein ruandischer Chef mir beim verhandeln unter die Arme greifen konnte. Die 3. Wohnung habe ich schließlich genommen. Sie hat vier Zimmer, außerdem eine Toilette im Haus und öfters mal Strom und Wasser.
Auf Kühlschrank, Waschmaschine und Ofen muss ich dagegen verzichten. Dass das Waschbecken auf Kniehöhe hängt ist mir leider zu spät aufgefallen, aber ich werde versuchen meine Vermieterin zu überzeugen, es etwas höher anzubringen. Die Möbel habe ich auf einem Open-air Möbelmarkt gekauft. Ganz sicher scheint die Gegend zwar nicht zu sein, da hinter die Gitter der Fenster jetzt auch noch Holzplatten geschoben wurden, damit Diebe nicht die Fensterscheibe einschlagen und sich mit einem Stock Sachen herausangeln, aber mit 3 abgeschlossenen Türen vor meinem Bett, fühle ich mich eigentlich recht sicher.
Von uns 4 artefact-Freiwilligen bin ich der einzige, der alleine wohnt, was den einfachen Grund hat, dass mein Office nicht in der Nähe der anderen Freiwilligen liegt. Eventuell ändert sich das bald, weil meine Vermieterin die Miete für das restliche Jahr im Voraus haben möchte und weil aus der Dreier-WG der restlichen artefactler wohl bald eine Person ausziehen wird. Allerdings habe ich zu einigen meiner Nachbarn freundschaftlichen Kontakt aufgenommen und würde deshalb gar nicht unbedingt umziehen wollen.


Arbeit

Während mein Alltag insgesamt sehr abwechslungsreich ist, beschränkt sich meine Arbeit zur Zeit größtenteils auf den Computer. In den 7 Wochen habe ich das Englisch von 4 Proposals, d.h. Geldanträge für Projekte, korrigiert und öfters auch mal zuvor abgelehnte Proposals komplett umgeschrieben. Da das Office meiner Organisation einen 30-Minuten Fußmarsch entfernt ist und kein WLAN besitzt, arbeite ich oft von zu Hause aus. Das läuft dann so ab, dass mein Chef oder ein anderes frankophones Mitglied morgens zwischen 9 und 11 Uhr bei mir vorbeikommt, wir die Proposals besprechen und über sonstige Probleme sprechen. Es ist unglaublich, aber ich habe noch kein einziges Projekt von meiner Organisation besucht. Leere Ankündigungen und Versprechungen gab es dagegen genug. Ich glaube, dass der Hauptgrund für dieses Phänomen die Teilung der 30 Mitglieder in „Board“ und „Staff“ ist. Während das Board für die Kommunikation mit den Geldgebern, für die Evaluation, sowie für das Eintreiben von Geldern verantwortlich ist und hier in Kigali sitzt, ist der Staff auf dem Land in den Projekten tätig. Ich hatte bis jetzt nur mit Leuten aus dem Board zu tun, denen ich eventuell auch durch meine Englisch- und Computerkenntnisse eher helfen kann, was für mich aber nicht sehr spannend ist. Ich würde viel lieber Workshops, Vorträge und Seminare zu den vielfältigen Aufgabenfeldern meiner Organisation, wie human rights, women rights, bicycle micro credit, poverty reduction, environment protection, job creation for widows and orphans, vorbereiten. Die Sprache ist dabei eigentlich auch kein Problem, da ich erstens gerade Kinyarwanda lerne und es zweitens immer Leute gibt, die gerne für einen übersetzen. Von mir aus würde ich dafür auch mal einen Monat aufs Land ziehen. Ein weiteres Problem ist, dass mein Chef absolut „busy“ ist. Er selbst ist Pastor, hält jede 4 Wochen eine Predigt, schreibt an seiner Dissertation, hat ein Handy, was länger klingelt als stillhält und macht zu allem Überfluss noch große Reisen, zum Beispiel in den Senegal zum African bicycle network, zur UN-Konferenz und öfters mal nach Uganda. Mir hat er empfohlen Geberorganisationen in Deutschland zu identifizieren, um dann Geld für mein eigenes Projekt zu sammeln. Ich hab zwar durch die Proposals eine grobe Idee davon bekommen, wie man ein Entwicklungsprojekt durchführt, maße mir aber nach ein paar Wochen nicht an zu wissen, was gut für die Rwandis ist. So habe ich es doch gerade als Vorteil betrachtet, in einer Organisation beschäftigt zu sein, in der es nur Rwandis gibt, die die Probleme der Menschen kennen sollten. Wenn meine Organisation allerdings ein Problem an einem bestimmten Ort identifiziert, kann ich mir schon vorstellen ein Projekt in Gang zu setzen.
Das Office von FAPDR wird übrigens heute aufgelöst und vorübergehend in das Haus meines Chefs verlegt (Vermieterin möchte die Räume zurück → das geht hier ratzfatz), bis im Januar die Mitgliederzahlungen eingehen und genug Geld für ein Büro näher am Zentrum da ist. Das klingt alles eher negativ, aber ich muss sagen, dass wir eigentlich super miteinander auskommen und dass es auch einige Lichtblicke gibt:
Von dem Geld, dass ich bei meinem Bikemax-Praktikum, einem netten Fahrradladen in Marburg, für meine Organisation bekommen habe (vielen Dank nochmal!), werde ich am 11. November in die Eastern Province fahren, um dort mit meinem Chef einen Workshop über den Nutzen von Fahrrädern zu halten. Außerdem kommen Ende November die Leute von Cycling out of Poverty für eine Woche aus den Niederlanden, die 2 von 3 Fahrradprojekten finanzieren und ein neues starten möchten. Die wollen natürlich die Projekte besuchen und da kann ich dann mitfahren und vielleicht auch neue Aufgaben für mich finden. Ende Dezember gibt es wahrscheinlich ein kleines Fahrradprojekt im Nordwesten Ruandas, bei dem 10 Fahrräder verteilt werden sollen. Ich darf wahscheinlich die 10 Fahrräder, die in Kigali billiger sind, in Einzelteilen hochfahren und dort zusammenbauen.

Allgemein ist es unter Weltwärts-Freiwilligen oftmals ein Problem sinnvolle Arbeit zu finden, es sei denn man ist in einer Schule oder in einem Kindergarten beschäftigt. Viele starten dann kostenlosen Englischunterricht. Englisch zu lernen ist hier extrem wichtig, da es gerade zur Amtssprache erklärt wurde, aber eigentlich nur von einigen Leuten in Kigali gesprochen wird. Der inoffizielle Grund dafür soll sein, dass der Präsident selbst kein Französisch spricht. Meinem Nachbarn gebe ich auch einen etwas unregelmäßigen Unterricht. Das Lernen gestaltet sich, besonders wegen der ungewohnten Aussprache, ziemlich mühsam, aber es ist schön, wenn man Fortschritte erkennen kann.

Alltag

Nach etwa 6 Wochen Anlaufzeit hat sich so was ähnliches wie Alltag bei mir eingestellt. Man hat einen Eindruck von der Kultur bekommen, hat verschiedene Menschen und Orte im Land besucht, hat sein Haus komplett eingerichtet, das Visum besorgt, ein ausbaufähiges Arbeitsverhältnis entwickelt und die Nachbarn und das Viertel kennengelernt. Ich habe ein wenig Kinyarwanda gelernt, sodass ich nicht mehr als Tourist angesehen werde, dem man das Geld aus der Tasche ziehen kann. Man geht einfach insgesamt gelassener mit neuen Situationen um.
So sieht mein normaler Tagesablauf aus:
Unter der Woche stehe ich gegen 8.00 Uhr auf und gehe dann öfters in einer kleinen Milchbar in meinem Viertel frische Milch trinken und Chapati oder Amandazi essen. Dann nehme ich entweder ein kleines Moto zum Office oder ich gehe wieder nach Hause und warte auf meinen Chef Jean-Baptist oder auf Ernest, ein anderes Mitglied von FAPDR. Nach dem Treffen, sitze ich oft an Proposals und lese von Aktivitäten bei denen ich gerne mitarbeiten würde. Mittags koche ich dann mit einem zu groß geratenen Campingkocher oder ich gehe Buffet essen. Beim Buffet gibt es außer kleinen Abwandlungen immer das gleiche, aber ich habe mich schnell mit Bohnen, Reis, Spaghetti und Pommes angefreundet. Oft gibt es auch noch ein kleines, zähes Stück Fleisch dazu. Nach dem Essen treffe ich entweder Einheimische, um mein Kinyarwanda auszubauen und wenn möglich um auf Englisch oder Französisch über Gott und die Welt zu reden, oder ich fahre mit dem Mini-Bus nach Kacyiru in das Büro der anderen Freiwilligen, um ein wenig kostenloses Internet zu bekommen und um danach mit ihnen nach Hause zu gehen. Manchmal spielen wir dann auch Volleyball oder Basketball an einer nahegelegenen Schule. Beliebt ist auch das moderne Zentrum der Stadt mit seinen Internetcafes und dem westlichen Supermarkt, wo man manche liebgewonnenen Dinge oftmals für stolze Preise erwerben kann. Montags und Donnerstags habe ich mit einem DEDler und den anderen Artefact-Freiwilligen einen zweistündigen Kinyarwanda-Kurs in Kacyiru, der mir selbst viel Spaß macht. Unser Lehrer war Lehrer für Suaheli und Französisch, ist jetzt Radiomoderator bei Voice of Africa und gibt nebenher Privatunterricht. Er ist praktizierender Muslim, sodass er nach dem Unterricht noch in unserem Haus gen Mekka betet und uns sogar zu seiner muslimischen Hochzeit eingeladen hat. Da es netter, billiger und einfacher ist zusammen zu kochen, bin ich am Abend häufig in Kacyiru, um etwas vegetarisches zu machen, was bei zwei Vegetariern im Haus Pflicht ist :(. Wenn mir das Vegetarierdasein zu öde wird, mache ich auch schon mal ein schönes Wiener Schnitzel für mich und manchmal auch einen Nachbarn in Nyabugogo. In Kacyiru haben wir unsere eigene Marktfrau Lydia zu der wir immer gehen und uns nett unterhalten. Wir spielen dann oft noch eine Runde Schach, oder laden die sehr netten Nachbarn auf ein Primus ein.

Am Wochenende wasche ich meine Klamotten per Hand, was eine verdammte Arbeit ist, aber auch ein schönes gesellschaftliches Event in meinem Vorhof. Wir (artefact-Freiwilligen) beherbergen eigentlich jedes Wochenende meist Freiwillige aus Uganda oder anderen Teilen Ruandas oder ziehen selber los. Als mir das Großstadtleben zu stressig wurde habe ich ein Wochenende im ruhigen Kibuye am wunderschönen Kivusee verbracht. Sonst waren wir in Gitarama um DED-Freiwillige und die Familie meines Nachbarns zu besuchen. Nächste Woche klappt es wohl auch endlich mal mit dem Besuch der Projekte meiner Organisation im Norden Ruandas. Wenn ich nicht reise, dann ist der 2 stündige Kirchenbesuch am Sonntagmorgen quasi Pflichtprogramm. Die Menschen in Ruanda sind allesamt religiös und zwar nicht so -wie in Deutschland oftmals- nur auf dem Papier, sondern richtig ernsthaft. Atheismus gibt es nicht. Ich werde pro Wochenende in 3 verschiedene Kirchen eingeladen, gehe aber dann doch meistens in den französischen Gottesdienst, auch wenn mir der Gospelgesang in den Kinyarwanda- Gottesdiensten sehr gefällt. So setzt man sich zwangsläufig stark mit dem Thema Religion auseinander. In meinem Viertel kennen mich jetzt viele Leute, sodass mir nicht mehr ganz so häufig Mzungu! (Weißer) zugerufen wird. Aber sobald es aufs Land geht und man Leute trifft, die vielleicht erst einmal zuvor einen Weißen gesehen haben wird es heftig. Bei kleinen Kindern habe ich auch überhaupt kein Problem damit. Wenn das erwachsene Menschen tun, fühle ich mich aber doch ein wenig unwohl.


Mentalität

Eigentlich mag ich das Wort nicht, da es irgendwie doch ein Euphemismus ist und vieles über einen Kamm schert. Aber trotzdem will ich schon in meinem ersten Bericht ein paar Worte darüber verlieren. Generell sind die Rwandis, die ich kennengelernt habe, sehr hilfsbereite und fröhliche Menschen. Was das Auto für Deutsche ist, ist das Handy für Rwandis. Jeder, der sich gerade so eins leisten kann, holt sich ein Handy für umgerechnet 10 Euro. Vielleicht wird es auch deshalb so exzessiv genutzt, sodass sich meine Kontaktliste schnell verdoppelt hat. Oft wird nur angerufen, um zu fragen wie es dem anderen geht, was er gerade macht und wo er ist. Wirklich nerven tut -besonders am sehr frühen Morgen- das Anklingeln, mit dem entweder Air time gespart wird, oder einfach mal ausgedrückt wird, dass jemand an dich denkt. Kontakt habe ich fast ausschließlich zu Männern, da Frauen oft sehr schüchtern und verschlossen sind. Mein Visum war eins von vielen Beispielen dafür, dass hier alles etwas gemächlicher von statten geht. Bürokratie in Deutschland ist was schlimmes, aber immerhin funktioniert sie halbwegs. Auf meine working permission habe ich geschlagene 5 Wochen und 8 Besuche beim Immigration Office warten müssen und das obwohl im Grunde beim zweiten Besuch alle Unterlagen da waren. Am Anfang meinten sie, es sei alles in Ordnung und ich kann in 2 Tagen mein Visa abholen. Nach zahlreichen Ausreden und Entschuldigungen wollten sie mir beim siebten Versuch allen Ernstes erklären, ich sei zu jung um zu arbeiten und sie müssten persönlich mit meinem Chef sprechen. Öffentlich gezeigte Wut oder Trauer wird hier als Schwäche aufgefasst und so habe ich sie so lange mit meinen Erklärungen genervt bis sie schließlich aufgegeben haben. Bei meiner Arbeit macht mich die „Vertröstungs-mentalität“ manchmal fast wahnsinnig, aber man lernt auch langsam, sie zu vermeiden.

Sehr stark haben wohl auch die Kolonialzeit und die weißen Investoren das Bild des reichen Weißen geprägt. Das äußert sich in der Angewohnheit vieler Rwandis mich nach einem Job zu fragen oder mich ohne Scham um Geld anzubetteln, ohne wirklich bedürftig auszusehen. Obwohl wir Weltwärts-Freiwillige hier sicher zur Mittelschicht gehören, hilft das Weltwärts-Programm eventuell dieses Image ein wenig zu verändern. Auf dem Clothmarket wird Weißen gegenüber oft der 5 fache Kaufpreis genannt. Gegen den Mzungu-Aufschlag kämpfen wir mit harten Preisverhandlungen und bei zu unverschämten Preisen gehen wir einfach weg ohne zu verhandeln.

Sonstiges

Neulich gab es anlässlich des Tages der deutschen Einheit eine förmliche Party beim Botschafter zu Hause. Es waren alle Weltwärts-Freiwilligen eingeladen, es gab kostenloses Essen und Trinken und man konnte viele Kontakte zu anderen Freiwilligen knüpfen, aus denen seitdem schon lockere Freundschaften entstanden sind. Es sind etwa 50 Freiwillige dagewesen mit denen auch nach der Veranstaltung gut gefeiert werden konnte. Auch beim hiesigen Oktoberfest konnte man viele von ihnen wiedertreffen. Ich habe mich im Verteiler des Goethe Instituts hier in Kigali eingeschrieben. Die bieten Kulturveranstaltungen, wie Jazz Konzerte, Kino und manchmal kommen sogar bekannte deutsche Bands wie Massive Töne in das Herz Afrikas. Demnächst lasse ich mir eine Gitarre bauen, um endlich wieder spielen zu können.


Als letztes möchte ich mich nochmal bei meinen Unterstützern bedanken, dass sie mir diese und noch viel mehr reiche Erfahrungen ermöglicht haben.


Murakoze cyane ya gusoma, wirirwe,


Euer Martin